Kein Eintritt für Erleuchtete

Leseprobe

Jakob


Franziska betritt strahlend meine Wohnung. Sie strahlt nicht im übertragenen
Sinne, sondern wörtlich! Instinktiv wende ich mich von ihr ab.
»Schalte bitte das Licht aus, Baby!«
Sie umarmt mich stürmisch. »Hallo Schatzi! Gratuliere, Herr Magister!«

Sie lässt mich los, als ich nicht zurückdrücke.
»Was hast du denn?«
»Das Licht!«
»Welches Licht?«
»Bitte schalte es aus, es blendet!«
»Es ist kein Licht an!«
»Du! An dir! Du strahlst!«
»Falls du den neuen Conditioner meinst, der – «
»Nicht deine Haare, dein Körper!«
Mir ist klar, dass ich in den letzten Wochen einige Trends verpasst
habe, während ich mich mit Gesetzestexten und juristischen Fachbüchern
herumgeschlagen habe, aber dieser ist nicht zu übersehen.
Mit zusammengekniffenen Augen taste ich nach den LED-Lämpchen,
die in ihrer Kleidung eingenäht sind. Ich finde keine und stelle
fest: Ihre nackten Arme strahlen ebenfalls! Es sind keine LEDs! Es ist
tatsächlich sie, ihre Haut!
Die sie umgebende Lichtschicht ist circa drei Zentimeter dick und
strahlt sogar durch BH, ihr weißes Tanktop und die enge blaue Jeanshose.
Ich nehme meine Hände von ihr. »Was ist denn passiert? Komm
erstmal richtig rein und setz dich, Baby. Magst du was trinken? Wasser?
Kaffee?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, gehe ich durchs Wohnzimmer
rechts in die Küche und überprüfe, ob ich durch die Umarmung etwas
von der Strahlung abbekommen habe. Ich höre, wie sie die Wohnungstür
schließt und in ihren High Heels zum Sofa geht. Klack klack klack, das
beruhigende Geräusch einer Frau im Haus. Einer möglicherweise verseuchten
Frau! Ich muss unbedingt Abstand zu ihr halten! Hoffentlich
macht das weiß-pink-blaue Licht nicht den hellgrauen Stoff der Couch
kaputt.
»Was hast du denn, Schatzi?« , fragt sie erneut. »Ist die Prüfung
nicht gut gelaufen? Du hast geschrieben, dass – «
»Nein, nein, alles bestens!«
Ich würde sie gerne genauer ansehen, aber sie blendet zu sehr. Wie
hält sie selbst das aus? Vorerst bin ich froh, dass der Bartresen als Sicherheitsabstand
zwischen uns ist. »Wie war denn dein Tag, Baby? Was
hast du heute gemacht?«
Sie erzählt von ihrem Seminar, während ich mir Zeit lasse, zwei Tassen
und Untersetzer aus dem Schrank zu nehmen, die Kaffeemaschine
einzuschalten, die richtige Kapsel auszuwählen, vorsichtig einzulegen,
die erste Tasse unter den Kaffeeauslauf zu stellen und den Startknopf
zu drücken. Ich verfolge jeden Arbeitsschritt so genau, als führte ich ihn
zum ersten Mal aus.
» – und dann war ich mit Mama auf der Mariahilfer Straße und hab
das perfekte Kleid für deine Sponsion gefunden. Sie ist zwar erst in ein
paar Monaten, aber ich musste einfach zuschlagen. Es hat nur – «
Das ist es! Eine allergische Reaktion!
» – und ist bordeaux, eng, Off-Shoulder mit kurzen Ärmeln.«
»Hast du Fotos?«
Ich schnappe mir die erste Tasse, stelle die zweite in die Maschine,
drücke auf den Knopf und eile zu ihr hinüber.
Sie zückt ihr Handy, wischt zum besten Foto und hält es mir stolz
unter die Nase. »Sexy und trotzdem classy, findest du nicht?«
»Aha! Siehst du? Da hast du noch nicht gestrahlt! Hast du danach
noch andere anprobiert?«
Ich nehme ihr das Telefon aus der Hand und scrolle durch die Selfies,
die sie in den Garderoben gemacht hat.
»He! Was soll das? Gefällt‘s dir etwa nicht?«
»Kein Licht! Auf keinem Foto! Aber es muss doch – «
»Gib mir sofort mein Handy zurück, Jakob!«
Sie reißt es mir aus der Hand. Sie nennt mich Jakob, ein Zeichen,
dass sie wütend ist.
»Ich finde es fabelhaft!«, sagt sie.
»Aber siehst du es denn nicht?« Meine Stimme klingt weinerlicher,
als mir recht ist. Reiß dich zusammen, Jakob!
»Was? Was soll ich sehen?«
»Das Licht!«
»Welches Licht? Ich sehe meinen wildgewordenen Freund, der jetzt
schon mein Handy kontrolliert. Wir haben uns so lange nicht gesehen!
Ich komme extra her und will mit dir auf deine Prüfung anstoßen und
du – Du siehst mich nicht mal an, wenn ich mit dir rede!«
Sie deutet an zu gehen.
»Nein, nicht! Bitte, geh nicht! Ich habe extra Champagner gekauft.«
Sie seufzt und setzt sich wieder.
Ich will, dass sie bleibt! Ich will, dass sie geht! Mein Kopf schmerzt
wie nach zu schnell gegessener Eiscreme. Ich muss rausfinden, was mit
ihr nicht stimmt! In dem Zustand kann ich sie nicht draußen herumlaufen
lassen.
Ich hole die zweite Tasse Kaffee aus der Küche. Auf dem Rückweg
fällt mir ein, was meinen Kopf entlasten würde. Ich stelle die Tasse samt
Untersetzer auf den Glastisch und haste ins Schlafzimmer.


Freundin


Er setzt sich ernsthaft eine Sonnenbrille in der Wohnung auf ? Wie unhöflich!
Mir reicht‘s!
»Du benimmst dich heute unmöglich!«
Ich dachte, er freut sich, mich wiederzusehen, und lässt sich für heute
Abend was Besonderes einfallen, aber stattdessen – So ein Theater
hab ich nicht nötig! Ich fahre!
Mit Betteln lasse ich mich sicher nicht davon abhalten. Diese Verzweiflung
ist erbärmlich! Jetzt schreckt er sogar zurück, weil ich ihn berühre.
Dann darf er nicht im Weg stehen, wenn ich nicht mal mehr an
ihn anstreifen darf ! Ich lege jetzt einen Abgang hin, der sich gewaschen
hat. Tür auf !
»Schäm dich, mich so zu behandeln, Jakob!«
Und Tür zu!
Peng.
Er hätte wenigstens ernsthaft versuchen können, mich aufzuhalten!
Fuß in die Tür stellen statt zu jammern. Das ist so was von unsexy! Ich
hoffe für ihn, dass er mir hinterherläuft, bis ich bei der U-Bahn-Station
bin, sonst kann er was erleben. Das Lernen ist schuld! Ich hab
ihm gesagt, dass er es nicht übertreiben soll. Permanent allein über den
Büchern sitzen, macht einen automatisch zu einem unsozialen Psycho.
Aber dass er sogar seine Manieren vergisst! So behandelt man keine
Frau! Ich war wochenlang verständnisvoll. Als wäre es für mich leicht
gewesen, ständig ohne ihn fortzugehen. Wozu habe ich denn einen
Freund, wenn ich nichts mit ihm unternehmen kann? Es hat sicher bereits
das Gerücht die Runde gemacht, dass wir uns getrennt haben, so
lange hat man uns nicht mehr zusammen gesehen. Aber mein Befinden
ist ihm vollkommen egal! Immer nur Er Er Er.
Unfassbar, er ist immer noch nicht in Sicht! Die nächste U-Bahn
kommt in zwei Minuten. Ich lasse sie fahren und warte auf die danach.
Er hat noch genau acht Minuten, um angelaufen zu kommen,
und wehe, er nutzt die Zeit nicht, dann –
Ich ruf Mama an, um mich abzuregen. Sie wird glauben, ich mache
Witze, dabei haben wir heute erst das Kleid für seine Sponsion gekauft.
»Hallo Mama? Ich bin‘s. Du glaubst nicht, was Jakob gerade gemacht
hat!«


Jakob


Nach ein paar Minuten klingen die Schmerzen ab und mein Gehirn
fängt wieder an zu funktionieren. Ich hätte sie aufhalten sollen! Ich hätte
normal mit ihr reden sollen, darüber, was sie sieht und was ich sehe!
Ich habe es verbockt! Ich muss mich entschuldigen, am besten, sofort.
Aber nicht per Nachricht, persönlich!
Ich nehme die Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. Sie
braucht mit den Öffis 48 Minuten, bis sie zu Hause ist. Ich brauche mit
dem Auto 25 Minuten zu ihr. Genug Zeit, um an der Tankstelle anzuhalten
und Blumen zu besorgen. In romantischen Komödien laufen die
Männer den Frauen auch ständig mit Alkohol und Grünzeug hinterher.
Darauf steht sie doch so! Hoffentlich verzeiht sie mir. Ich will einfach
einen schönen Abend verbringen, ohne Licht!
Bevor ich die Wohnung verlasse, checke ich sämtliche Nachrichtenseiten,
um sicherzugehen, dass kein Chemieunfall vorgefallen ist.
Nichts! Weder auf Facebook noch auf Twitter sind Berichte über
strahlende Menschen. Noch ist kein Foto von Franziska in der U-Bahn
viral gegangen, obwohl sie bereits vor einer halben Stunde gegangen ist.
Ich überprüfe noch mal, ob ich alles habe, was ich brauche: Schlüssel,
Geldbörse, Handy, Champagner. Auf geht‘s!

 

Nachbar


Da hat schon wieder jemand seinen Müll hingeworfen. Der Mistkübel
ist gleich da drüben und trotzdem liegen hier immer Papierln herum.
Sicher von den Kindern gegenüber. Zu meiner Zeit hätten wir uns das
nicht getraut! Wir hatten noch Respekt vor der Frau Lehrerin und die
hat geschaut, dass wir nicht in der Pause auf die andere Straßenseite
laufen und dort unseren Müll vor die Tür werfen.
»Na komm, Wurli. Komm! Jetzt haben wir eh eine große Runde
gedreht.«
Das Haustor hat man früher auch leichter aufsperren können. Da
schreib ich der Hausverwaltung mal wieder einen Brief, dass sie das
beheben sollen.
»Grüß Gott! Jössas, vor mir brauchen‘s nicht erschrecken.«
Der Cerny Bub, so ein Braver.
So was, kriegt zur Begrüßung fast nicht die Zähne auseinander. Hat
sich wohl ordentlich geschreckt, dass ich in dem Moment reinkomme.
Der Wurli auch.
»Schon gut, Wurli. Aus! Komm! Schönen Abend, der werte Herr!«
Er hat‘s aber eilig. Ich muss mich eh auch ranhalten, die Zeit im Bild
fängt gleich an, nicht dass der Wurli und ich wieder den Anfang versäumen.


Jakob


Ich laufe ein paar Schritte zum nächsten Haustor und bleibe keuchend
stehen. Das darf nicht wahr sein! Herrn Hauser umgibt genau das
gleiche Licht wie Franziska. Das Teeniepärchen, das Händchen haltend
an der Volksschule gegenüber vorbeischlendert, ebenso! Und die Frau,
die mit ihrem Nissan Micra gerade in die Kopernikusgasse biegt, auch!
Eins zu eins das gleiche Strahlen wie bei Franziska! Es fühlt sich an,
als würde mir jemand ein Messer in die Stirn rammen. Ich gehe zu meiner
Haustür zurück, schließe sie wieder auf, stürme an Herrn Hauser
vorbei die Treppen nach oben und zurück in meine sicheren vier Wände.
Mein Herz pumpt so schnell, dass es kurz davor ist, die schützenden
Rippen zu durchschlagen. Ich keuche, um Luft in meine Lungen zu
kriegen. Mir wird schwarz vor Augen, Psyche oder Körper, zumindest
eines von beiden ist kurz davor aufzugeben.
War es so damals in Tschernobyl? Sieht es so aus, wenn Menschen
verstrahlt sind? Zumindest ist Franziska nicht die Einzige, meine Freundin
kein Freak. Aber wenn alle strahlen, vielleicht ich auch, ohne es zu
wissen.
Ich gehe ins Bad, drehe das Wasser in der Dusche auf, ziehe mich aus
und stelle mich unter das heiße Wasser. Es gibt eine logische Erklärung
dafür! Nuklearkatastrophe ist natürlich Blödsinn, aber als Kind habe ich
mir das immer so vorgestellt, wenn von Verstrahlung die Rede war.
Ich schrubbe gründlich meine Haut und erschrecke über den bläulichen
Schimmer auf meinen Armen. Zum Glück handelt es sich nur
um zu viel Duschgel, das sich ohne Probleme abwaschen lässt.
Fünf strahlende Menschen habe ich bislang gesehen, kein sonderlich
großes Sample, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. Was verbindet
sie miteinander, abgesehen von dem weiß-pink-blauen Licht?
Nichts, außer – Ich habe sie gesehen! Ich! Liegt es an mir? Vielleicht
strahlen sie gar nicht, sondern mit meinen Augen stimmt etwas nicht.
Das würde auch erklären, warum Franziska es nicht sieht.
Ich bin fertig mit Duschen und will ihr sofort von meiner Erkenntnis
berichten. Ich rufe sie an, sie hebt nicht ab. Ich schicke ihr eine Nachricht:
»Es tut mir so leid baby. Herzemoji. Ich glaube ich bin krank. Mit
meinen augen stimmt was nicht. Trauriger Smiley. Zu viel stress in letzter
zeit. Muss mich mal ausschlafen. Bitte sei mir nicht böse. Smiley mit Herzaugen.
Wir holen das feiern nach. Versprochen! Ich liebe dich! Herzemoji
Herzemoji Herzemoji Smiley mit Kussmund«
Was nun? Ich bin erschöpft und aufgebracht zugleich. Schlaf klingt
verlockend, aber ich weiß, dass ich kein Auge zumachen werde. Ein
Problem, das ich seit Wochen habe – außerdem ist es noch viel zu früh.
Also setze ich mich an den Laptop im Arbeitszimmer und recherchiere,
was im Wesentlichen daraus besteht, verschiedene Begriffe, die mit Strahlen,
Licht und Menschen zu tun haben, in die Suchmaschine zu tippen.

...

 

Die ganze Geschichte lesen Sie im Roman "Kein Eintritt für Erleuchtete", erschienen im September im Verlag "Edition Roter Drache".

(Aus unerklärlichem Grund zeigt Amazon das Coverbild des Buches nicht an, es ist aber auch über diesen Anbieter erhältlich.)