Kurzgeschichte: Das Los der Arbeitslosen

veröffentlicht: 9.3.2018

Wilfried schließt die Klappe des Umzugswagens. Erna steigen Tränen in die Augen. Er geht vor zur Fahrerseite, scannt seinen Fingerabdruck, bestätigt die Adresse, die er vorher eingegeben hat und drückt auf den grünen Knopf. Der Motor springt an, ein leises Surren, mehr ist nicht zu hören. Der Transporter setzt sich in Bewegung.

Herr Schnabel stürmt aus dem Haus gegenüber. Zieht ihr etwa heute schon um? Wir dachten morgen! Er wendet sich um und schreit: Komm schnell, die Haders fahren!

Na, na! Eh erst morgen!, sagt Wilfried. Das war nur die erste Ladung.
Erna kann ihre Tränen nicht länger zurückhalten, beschämt dreht sie sich weg und geht in ihre Neubauwohnung.

Falscher Alarm! Sie ziehen doch erst morgen weg!, brüllt Herr Schnabel und eine weibliche Stimme antwortet: Okay. Das ausgerechnet ihr zwei mal in die Stadt zieht, hätt' ich mir nie gedacht. So wie du die Stadt immer verachtet hast.

Na ja, verachtet ist übertrieben. Ich hab immer gesagt-

„'Ich hasse die Stadt!', das hast immer gesagt! Herr Schnabel lacht. Du hast immer gesagt, die in der Stadt sind hochnäsig und halten sich für was Besseres und jetzt- Dabei seid's erst vor fünf Jahren vom Haus daher in die Wohnung gezogen.
Ja, weißt eh, wir sind nimma die Jüngsten, wir müssen auch an die Zukunft denken und so am Land, das geht nicht ewig gut. Nicht ohne Kinder, die auch mal anpacken, wenn was ist. Der nächste Arzt ist eine halbe Stunde mit'm Auto zum Fahren, wenn einem von uns was passiert-

Ach, das hat dich früher auch net geschert, aber ihr werdet's schon eure Gründe haben. Fahrt's morgen bloß nicht ohne euch zu verabschieden.
Na, sicher net! Pfiat di!
Wilfried geht zu Erna in die Wohnung, die sich gerade geräuschvoll schnäuzt. Zwei Umzugskisten, drei Koffer, zwei Sporttaschen und eine Handtasche, das ist alles was im Wohnzimmer noch steht. Alles, was ihnen aus ihrem Leben noch geblieben ist. Wilfried legt den Arm um seine Frau. Mach dir keine Sorgen, nur noch sechs Jahre bis zur Pension, dann kommen wir wieder her, holen unsere Sachen zurück aus dem Lagerraum und richten alles wieder so ein wie es war.

 

Einen wunderschönen guten Tag. Willkommen in der einzigartigen Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria. Wie kann ich euch helfen?
Hader. Erna und Wilfried Hader. Wir sind wegen der Wohnung hier. Wilfried zeigt der jungen Frau die Bestätigung auf seinem Smartphone. Sie sieht der Frau ähnlich, die seine Firma behalten hat als sie ihn nach 45 Arbeitsjahren als Verkäufer vor die Tür setzten. Die Arbeit benötigt keine Menschen mehr, lediglich jemanden der die Geräte überwacht, wozu sie als Akademikerin frisch von der Uni offenbar mehr taugte als seine Erfahrung.

Bitte legt nacheinander eure Finger auf diesen Sensor, sagt die Frau hinter dem Empfangsschalter. Hader. Da gab es mal einen Kabarettisten, mein Opa mochte den, seid ihr zufällig mit dem verwandt?
Wilfried schüttelt den Kopf, Erna scannt als nächstes ihren Fingerabdruck. Auf dem Smartphone erscheint eine Karte der Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria.

Wir befinden uns aktuell hier im Welcome Center sponsored by Red Bull, verleiht Flügel. Die junge Frau tippt mit einem iPen auf die Karte, woraufhin ein roter Punkt erscheint. „Euer Appartement befindet sich im L'Oréal Komplex, weil ihr es uns wert seid. Dazu fahrt ihr einfach die Hornbach-Straße entlang, schließlich gibt es immer was zu tun, und biegt rechts auf die Iglo-Iss-Was-Gscheit's-Gasse ein. Sie zeichnet den Weg nach. Zum Glück, denn Erna und Wilfried haben Schwierigkeiten sie zu verstehen. Die aufgespritzten Lippen nimmt sie beim Sprechen kaum auseinander.

Das Auto muss binnen 30 Minuten die Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria verlassen. Es handelt sich nicht um euer eigenes, nicht wahr?

Gemietet, sagt Wilfried.

Sehr gut. Besitztümer bis zu einem Wert von 1000 Euro dürft ihr behalten, solange der Gesamtwert zu zweit 3000 Euro nicht überschreitet. Ausgenommen davon sind Artikel, die in Absprache mit eurem Coach als Investition in die Jobsuche getätigt werden. Bargeld dürft ihr maximal 500 Euro pro Person haben. Euer Jobtraining beginnt morgen um 7 Uhr im Toyota Center, denn ihr wisst: Nichts ist unmöglich. Sie kichert als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht und fährt dann fort: Mit dem Scannen eures Fingers bestätigt ihr die Einhaltung sämtlicher Regeln, so lässt sich außerdem euer Appartement öffnen. Besuch ist tagsüber erlaubt, bei Übernachtungen Dritter ist eine Gebühr von 50 Euro zu entrichten. Euer Appartement trägt momentan die Nummer 4863, was allerdings schnellstmöglich in euer persönliches Motto geändert wird. Das Motto erarbeitet ihr gemeinsam mit eurem Coach. Das wird euch die gesamte Zeit, die ihr hier wohnt, begleiten. Selbstverständlich hoffen wir, dass es sich um einen möglichst kurzen Aufenthalt bei uns handelt und ihr rasch wieder ins Berufsleben einsteigt. Viel Erfolg und vergesst nicht: Ein Lächeln ist der erste Schritt zum Ziel. Sie zieht die Lippen nach oben, was Wilfried und Erna einen Schrecken einjagt.

Sie bedanken sich, nehmen das Handy und verlassen das Welcome Center sponsored by Red Bull, verleiht Flügel.

 

Hallo Nachbarn! Ein Mann im blauen Anzug mit weißem, schütteren Haar und neongelben Turnschuhen, hält ihnen die Tür auf, als sie das L'Oréal Haus betreten wollen. Wartet, ich helfe euch! Er reißt Erna die Umzugskiste aus den Händen. Ich bin Mitch!

Hader, sagt Wilfried.

Hader? Lustig, ich glaube so hieß früher mal so ein Komiker, sind Sie-

Nein!

Mitch begleitet sie bis zur ihrer Wohnungstür. Ich wohne nur einen Stock drüber, in Appartement 'Das Leben liebt mich, ich liebe das Leben'. Läutet einfach an, ich zeig euch gerne alles und führe euch herum. Ich wohne schon eine ganze Weile hier, es ist wirklich fantastisch! Ihr glaubt gar nicht was für großartige Möglichkeiten einem hier geboten werden.

Danke, wir richten uns erstmal ein, sagt Erna und will ihm die Kiste wieder abnehmen.

Ausgezeichnet! Selbstverständlich, macht das. Das ist wirklich grandios.

Wilfried wartet demonstrativ mit dem Öffnen der Tür bis der fremde Aufdringling verschwindet.

Mitch stellt endlich die Kiste ab, zieht ein kleines Metallkärtchen mit Prägedruck aus der Innentasche seines Sakkos und überreicht es Erna.

Meine Karte, nur für den Fall, dass ich nicht zu Hause sein sollte! Habt ihr noch mehr zum Reintragen?

Danke, wir kommen klar!, sagt Wilfried.

Perfekt, dann-, er zögert. „Nicht vergessen: Der erste Schritt in eine neue Wohnung, ist der erste Schritt in ein neues Leben. Ich bin sicher, euer Leben liebt euch auch. Bis später, Nachbarn.

Mitch geht, Erna und Wilfried atmen auf.

Wilfried legt seinen Zeigefinger auf den Scanner neben der Tür und beide schlüpfen schnell mit den Umzugskisten hinein, bevor Mitch doch noch zurückkommt.

„Mitch Winkler. Health Care Patient Relation Manager. L'Oréal Komplex, Appartement 'Das Leben liebt mich, ich liebe das Leben', www.mitchwinkler.com, liest Erna die Metallkarte vor. Darunter steht seine E-Mailadresse und Telefonnummer.

Hat die Tochter der Schnabels nicht auch so was gemacht mit Health Care?, fragt Wilfried.

Ja, Ordinationshilfe war sie mal.

Erst jetzt wird Erna bewusst, dass sie gerade ihre neue Wohnung betreten haben. Der Raum in dem sie sich befinden ist klein, aber zweckmäßig eingerichtet. Eine Küche, ein Tisch mit vier Stühlen, ein Sofa, ein Couchtisch, ein Schreibtisch mit Stuhl, zwei große Schränke. Wilfried öffnet die einzige Tür, hinter der sich das Bad befindet.

Und wo ist das Bett?, fragt Erna.

Jedem Single stehen in Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria exakt 30 Quadratmeter zur Verfügung, Paaren 40 Quadratmeter, jede weitere Person 7 Quadratmeter extra.

Wilfried öffnet eine der Schranktüren, dahinter kommt ein ausklappbares Bett zum Vorschein.

Erna kommen die Tränen. Sie setzt sich auf die harte Couch, die nicht zum Verweilen einlädt.

Es tut mir so leid, sagt Wilfried.

Du kannst ja nichts dafür, schluchzt Erna. „Ich vermisse unser Haus. Unser Auto. Weißt du noch? Den Schmuck zu verkaufen war gar nicht so schlimm, aber-, aber- Sie kann nicht weitersprechen.

Ich weiß, sagt Wilfried. Der Bobo fehlt mir auch! Natürlich ist es nicht das gleiche, aber in sechs Jahren krieg ich meine Pension, spätestens dann ziehen wir hier aus und kaufen einen neuen Hund. Und wer weiß, vielleicht finden wir vorher tatsächlich noch Arbeit und ziehen viel früher wieder aus.

 

Ein herzliches Welcome in Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria auch von meiner Seite. Mein Name ist Rob und mein Goal ist, dass ihr asap fit für den market werdet. Wir Coordinators sharen alle News der top notch Keyplayer und Influencer mit euch, damit ihr immer im Flow bleibt. Eure individual Coaches werden euch alle Assets zur Verfügung stellen und mit euch an eurer Personality arbeiten. Ihr werdet als Marke gebranded und eure Abilitys werden gehighlighted. Ich darf jetzt schon mal eine kleine Preview geben: Perfection is so last year, aktuell wird wieder eine edgy Note im Business verlangt, Authentizität ist ein Must!

Verstehst du was der sagt?, flüstert Wilfried seiner Frau zu.

Er heißt Rob, sagt Erna.

Das verlangt natürlich euren Input, denn ohne Input kein Output. Go the extra mile, lautet deswegen das Motto unseres heutigen Tages und passend dazu schenkt uns heute Coca Cola den Tagespush.

Rob holt einen Karton mit Cola Flaschen hervor und teilt sie an alle 60 Personen im Kursraum aus. Auf den Flaschen prangt in Leuchtschrift: Go the extra mile, it's never crowded!

Nachdem er alle verteilt hat, sagt Rob: Für den Tagespush heben wir alle unsere Flaschen und wiederholen das Tagesmotto. Wie lautet das?

Go the extra mile?, sagen vereinzelt ein paar Personen unkoordiniert durcheinander.

Wie?, schreit Rob.

Go the extra mile.

Lauter!

Go the extra mile!, rufen jetzt alle.

Noch lauter!

Go the extra mile! Go the extra mile! Go the extra mile! Sie werden immer lauter und schneller, bis Rob Hurra! schreit, die Flasche öffnet und trinkt. Alle tun es ihm gleich.

Danke Coca Cola, für diese großzügige Spende!

Gehen die extra Mühle?, fragt Wilfried leise.

Meile! Geh die extra Meile, sagt Erna. Mühle heißt mill, nicht mile.

Ach so.

Nach der Morgenansprache teilt Rob jedem einen persönlichen Coach zu. Erna und Wilfried werden sich erst in der Pause am späten Nachmittag wiedersehen. Dann bleibt ihnen eine Stunde bevor sie zum Sprachkurs müssen. In dem werden sie - wie Rob es nennt - die Language of the Present lernen, um in der gegenwärtigen Arbeitswelt eine Chance zu haben. Den Sprachkurs müssen sie selbst bezahlen, schließlich ist es ihre Schuld, dass sie nicht über das notwendige Vokabular verfügen.

 

Ernas Coach ist ein gut aussehender schlanker, junger Mann im Maßanzug, dessen Haare exakt nach hinten gegelt und dessen Gesichtszüge kaum merkbar mit Make Up betont sind, um ihn etwas kantiger wirken zu lassen. Seine Stimme ist sanft und verständnisvoll.

Erna grüße dich. Freut mich dich kennenzulernen, sagt er. Sie wundert sich, warum sie mit Anfang 60 von allen geduzt wird. Erna Hader. Gab es nicht einen Politiker mit dem Namen Hader?

Politiker? Nicht, dass ich wüsste. Es gab einen Kabarettisten.
Kabarettist genau, den meine ich. Kannten sie den?
Nicht persönlich.

Also nicht verwandt?
Nein.

Na ja, das können wir dann ja noch mal überlegen, wenn wir gemeinsam deinen Lebenslauf verfassen. Prominenz ist immer ein Pluspunkt im CV. Vorher müssen wir aber den Bereich abstecken in dem du tätig sein kannst. Klar ist natürlich, dass das Leben als Hausfrau, so wie du es bislang geführt hast, jetzt nicht mehr-
Wie bitte? Ich war nie Hausfrau!
Nicht? Laut meinen Informationen warst du die letzten elf Jahre zu Hause.
Ja, zu Hause, aber nicht Hausfrau! Ich habe vor elf Jahren meine Arbeit als Lehrerin verloren und habe keine Anstellung mehr gefunden. Seitdem war ich 30 Stunden die Woche ehrenamtlich bei uns im Ort tätig und habe den Kindern Nachhilfe gegeben, die im Stoff hinterhergehinkt sind und von den Digital Teachern nicht ausreichend gefördert wurden.

Verstehe, aber jetzt geht es natürlich darum dich wieder fit für die richtige Arbeitswelt zu machen, die nichts mit- In deiner Freizeit steht es dir frei deinen Hobbys nachzugehen, aber hier geht es um die reine Erwerbstätigkeit.

Erna beißt sich auf die Zunge, Tränen formen sich. Sie denkt an die zahlreichen Kinder, die erst dank ihr den Schulstoff verstanden haben und die andernfalls keine Chance gehabt hätten auf die Universität zu kommen und somit einen brauchbaren Abschluss zu machen.

Lehrerinnen werden nicht mehr benötigt, du wirst also um eine Umschulung nicht herum kommen. Wie sieht es mit deinen Programmierfähigkeiten aus?

Ich weiß, wie ich mein Handy bediene.

Gut, das ist ein Anfang. Die Ausbildung zur Programmiererin dauert fünf Jahre, damit wärst du befugt an der Weiterentwicklung der Digital Teacher mitzuarbeiten. Klingt das nach einer guten Idee?

Gibt es nichts im Sozialbereich? Ich arbeite gerne mit Menschen.

Mit Menschen, so so. Er lehnt sich im Stuhl zurück und mustert Erna von oben bis unten. Erna, lass es mich freundlich formulieren: Mit deinem aktuellen Aussehen sehe ich keine Möglichkeit dich in einer Arbeit unterzubringen in der du Kontakt zu anderen Menschen hast. Menschliche Kollegen ja, aber eine Tätigkeit in der du auch eine repräsentative Funktion für das Unternehmen einnimmst- Aber gut, daran könnten wir eventuell arbeiten. Neue Kleidung, andere Frisur, Kosmetik und ich fürchte um ein Facelifting werden wir nicht herumkommen. Ich schlage vor, bei deinem persönlichen Motto konzentrieren wir uns auch erstmal auf diesen Aspekt. Was hältst du von: 'Ich bin schön!'? Am besten du stellst dich jeden Tag vor den Spiegel und sagst es dir ein paar Mal laut und deutlich vor, probier es gleich mal.

Aber ich bin schön!, sagt Erna.

Das war schon nicht so schlecht, aber lass das 'aber' weg. Nur: Ich bin schön! Morgen beginnen wir dann mit dem Umstyling und machen einen Termin in der Klinik sponsored by Dove, für echte Schönheit, aus.

 

Will, guten Tag, ich bin dein Coach. Meine Aufgabe ist es, aus dir den besten Will rauszuholen, den es je gab. Wilfried schüttelt die Hand der Frau. Ihr Arm ist so dünn, dass er fürchtet ihn abzureißen. Nur mit Mühe schafft er es seinen Blick auf ihre Augen und nicht auf ihren enorm prallen Busen zu richten, der in einen viel zu kleinen Ausschnitt gepresst ist.

Will Hader. Hader, der Name sagt mir etwas. Hader, Hader- mh.

Der Kabarettist vielleicht?
Nein, nein Kabarettist glaube ich nicht. Ich weiß nicht. Egal. Für den Nachnamen können wir uns noch was überlegen, Will passt auf jeden Fall hervorragend.
Aber mein Name ist Wilfried.
Will, niemand heißt heutzutage Wilfried. Weißt du wer Wilfried heißt? Verlierer. Bist du ein Verlierer?
Nein?
Ganz richtig, Will. Du bist ein Gewinner. Ach schau, da hätten wir schon das passende Motto: Ich bin ein Gewinner! Wiederhole!

Ich bin ein Gewinner?

Sie grinst. Wie schön, das ging schnell. Wenn unsere Zusammenarbeit weiter so effektiv verläuft bist du schnell wieder im Einsatz. Will, ich sehe gute Chancen für dich. Du bist zwar schon eine Weile weg vom Arbeitsmarkt, aber mit dem richtigen Profiling bekommen wir das hin. Auffallende Visitenkarten, gute Homepage, interessante Social Media Präsenz, neue Fotos, professionelles Bewerbungsvideo, das ganze Package. Vorher müssen wir noch etwas an deiner Appearance arbeiten: Sport, gesunde Ernährung und hast du schon mal über eine Haartransplantation nachgedacht?

Ich glaube nicht, dass das notwendig ist.

Ah Will, ich fürchte da bin ich anderer Meinung. Zu Wilfried passt kreisrunder Haarausfall, aber wer ist Wilfried?

Er antwortet nicht.

„Ganz genau, ein Verlierer! Wilfried ist ein Verlierer. Will hingegen ist ein Gewinner und Gewinner haben feste, dichte Haare.

Aber wer soll das bezahlen?

Darüber musst du dir keine Sorgen machen, Will. Mit 70 erhältst du eine gute Pension. Die Investitionen die jetzt notwendig sind, schreiben wir an und wenn du eine Arbeit hast, zahlst du es zurück oder, im absoluten Notfall, wenn das nichts wird - wovon ich nicht ausgehe - behalten wir es später von deiner Pension ein. Das würde bedeuten, dass du einfach noch einen Monat länger in Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria wohnen bleibst.
Aber-
Will, es ist deine freie Entscheidung. Wir drängen hier niemanden zu etwas. Du allein entscheidest! Aber natürlich ist dein Input erforderlich. Wir müssen sehen, dass du dich aktiv in die Arbeitssuche einbringst und dich nicht gegen die notwendigen Maßnahmen sträubst, die dein Coach in Absprache mit dir für notwendig hält, damit du auch dem aktuellen Markt eine Chance hast. Und der Markt hat sich in den letzten fünf Jahren verändert, das erklärt sich von selbst.

 

Wilfried betritt ihr Appartement 'Du bist schön und ein Gewinner!'. Er stellt die halbleere Einkaufstasche in der Küche auf den Boden. Im Jobfit!-Town powered by AMS Service Austria Supermarkt gibt es nur gesunde Marken- und Bioprodukte. Die Einkaufspunkte, die Erna und ihm zustehen und die sie nur dort einlösen können, reichen kaum für das Notwendigste. Neben dem Ausgang steht ein Kreditautomat bei dem man jederzeit zusätzliche Punkte kaufen kann. Er hätte Erna gerne einen Fruchtjoghurt oder zumindest frisches Obst mitgebracht, aber er widerstand der Versuchung.

Er hört ein unregelmäßiges Klacken im Flur, dann das Piepen des Fingerabdruckscanners und die Tür zur Wohnung öffnet sich. Erna stöckelt hinein und hält sich an der Wand fest. Sie trägt ein enges knallgrünes Kleid, dazu silbern glitzernde High Heels, die zu ihrem Lidschatten passen. Ihre Haare sind frisch blondiert und voluminös geföhnt. Wilfried kann sich das Lachen nicht verkneifen.

Das ist nicht die Frau, mit der er seit mehr als 30 Jahren verheiratet ist! Sie zieht die Schuhe aus und wirft sich in seine Arme.
Ich würde gerne weinen, sagt sie. Aber sie haben mir eine Flüssigkeit in die Tränendrüse injiziert, damit ich nicht mehr so viel weine.

Bald sind wir hier raus, Liebling. Wir müssen nur durchhalten. Nur noch sechs Jahre und einen Monat.
Erna zupft an ihrem Gewand. Sechs Jahre und drei Monate. Sie haben gesagt, es ist eine Investition in die Zukunft.